Prähospitale Therapie des akuten Koronarsyndroms

Das akute Koronarsyndrom (Engl. acute coronary syndrome - ACS) umfasst folgendes Spektrum an Diagnosen:

  1. Instabile Angina pectoris (iAP)

  2. Nicht-ST-Elevations Myokardinfarkt (NSTEMI)

  3. ST-Elevations Myokardinfarkt (STEMI)

Da sich die iAP und der NSTEMI nur durch den Nachweis einer Myokardschädigung (also dem Anstieg von entsprechenden Biomarkern) unterscheiden lässt, ergeben sich präklinisch zwei mögliche Arbeitsdiagnosen:

  1. Nicht-ST-Elevantions-ACS (NSTE-ACS)

  2. ST-Elevations-ACS (STE-ACS)

Die Arbeitsdiagnose ACS ist grundsätzlich bei Symptomen wie Brustschmerzen in Betracht zu ziehen. Die aktuelle ESC-Leitlinie hebt explizit hervor, dass es Patient:innen unter Umständen schwer fällt, die Symptome zu beschreiben. Sie werden teilweise als brennen, drücken oder Engegefühl beschrieben.

Oftmals werden geschlechterspezifische Symptomkonstellationen genannt. Hier ist Vorsicht geboten, denn die Symptome unterscheiden sich zwischen den Geschlechtern oft weniger, als angenommen wird. Die einzigen Symptome die bei Frauen etwas häufiger Vorkommen als bei Männern sind: Müdigkeit, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen, Kieferschmerzen und Dyspnoe.

EKG- Diagnostik


Innerhalb von 10 Minuten nach medizinischem Erstkontakt soll ein 12-Kanal-EKG geschrieben und befundet sein. Hier lässt sich dann, bei kardialem Brustschmerz, die Eingruppierung in die beiden Arbeitsdiagnosen NSTE-ACS und STE-ACS vornehmen. Letzteres liegt bei folgenden EKG-Veränderungen vor:

Ableitungen V2 und V3
Männer unter 40Jahren: ST-Hebungen >/= 2,5mm
Männer über 40 Jahren: ST-Hebungen >/=2,0mm
Frauen (unabhängig vom Alter): ST-Hebungen >/=1,5mm
Für ALLE anderen Ableitungen gilt
Unabhängig von Geschlecht und Alter: ST-Hebungen >/=1mm
Für die Arbeitsdiagnose STE-ACS müssen die ST-Hebungen grundsätzlich in zwei benachbarten Ableitungen nachgewiesen werden.
Bei Patienten mit vermutetem inferioren STEMI (STE in II, III, aVF) sollen zusätzlich die Ableitungen V3R und V4R beurteilt werden, um eine rechtsventrikuläre Beteiligung zu erkennen.

Insbesondere bei unklarem EKG oder bei Verdacht auf einen posterioren STEMI sollen die Ableitungen V7-V9 untersucht werden.

Im Falle von Schenkelblöcken soll bei kardialem Brustschmerz der Patient analog zum STE-ACS versorgt werden, wenn eine Myokardocclusion vermutet wird. Nach Möglichkeit sollten die Scarbossa-Kriterien zu Rate gezogen werden.

Es erscheint außerdem sinnvoll, insbesondere bei sich verändernden, oder anhaltenden, Symptomen, serielle EKGs zu schreiben.

Basistherapie

Sauerstoffgabe

Sauerstoff soll nur bei Hypoxie, definiert als Sauerstoffsättigung von <90% erfolgen. Eine Routinegabe von Sauerstoff wird nicht empfohlen.

Nitrate

Nitrate können zur Symptomlinderung nützlich sein. Es wird nicht empfohlen Nitrate als diagnostischen Test zu verabreichen. Kommt es nach Nitratgabe zur Symptomlinderung und im EKG zur Regredienz der ST-Hebungen, so kann der Verdacht auf einen Koronarspasmus gestellt werden. Dies klärt dennoch nicht, ob ein Myokardinfarkt vorliegt oder nicht. Nitrate sollen laut Leitlinie nicht bei Hinweisen auf einen Rechtsventrikulären-Infarkt eingesetzt werden. Außerdem sollen sie nicht bei Hypotension, ausgeprägter Bradykardie, bekannter schwerer Aortenklappenstenose oder der Einnahme von PDE-5-Hemmern innerhalb von 24-48 Stunden angewandt werden.

Thrombozytenfunktionshemmung

Aspirin

Es sollen 150-300mg Aspirin per os, oder 250mg Aspirin i.V. verabreicht werden. Auf P2Y12-Antagonisten wird in diesem Artikel nicht eingegangen.

Antikoagulation

Heparin

Patient:innen mit ACS sollen zum Zeitpunkt der Diagnosenstellung 70-100 I.E. unfraktioniertes Heparin erhalten. Gemäß Leitlinie können auch niedermolekulare Heparine zum Einsatz kommen, in Deutschland im Rettungsdienst ist allerdings die Gabe von unfraktioniertem Heparin üblich, sodass hier auf die genauere Betrachtung anderer Substanzen verzichtet wird.

Für Unsicherheit sorgt immer wieder die Frage, wie mit Patient:innen umgegangen werden soll, die unter Dauertherapie mit einem “direkten oralen Antikoagulanz” (DOAK) stehen. Hier gab es 2021 ein Konsensuspapier der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie. Die Problematik ist komplex. Es müssen das individuelle Blutungsrisiko gegen das Ischämierisko abgewogen werden. Im Konsensuspapier wird empfohlen bei STE-ACS mit Heparin zu loaden. Für die Gabe bei NSTE-ACS sprechen folgende klinische Faktoren: hohes Ischämierisiko (z.B. anhand des TIMI-Scores), niedriges Blutungsrisiko, Instabilität, Reanimation, PCI-Indikation, letzte DOAK-Einnahme >12-24 Stunden vergangen (Abhängig vom Einnahmeschema)

Schmerztherapie und Axiolyse

Abgesehen von Nitro-Spray können weitere Substanzen zur Schmerztherapie eingesetzt werden. Klassischer Weise wird Morphin genutzt, dies wird auch von der ESC-Leitlinie gestützt. Es mehrt sich allerdings Kritik, da Morphin in einigen Publikationen die Wirkung von Thrombozytenfunktionshemmern, vor allem der P2Y12-Hemmer, abgeschwächt hat.

Betablocker

Zur frühzeitigen Applikation von Betablockern liegen nur wenige Informationen vor, insbesondere was das Langzeitoutcome betrifft. Die frühzeitige Applikation von Betablockern scheint aber das Auftreten von Kammerflimmern (VF) zu reduzieren. Die am besten untersuchte Substanz ist Metorpolol. Gemäß ESC-Leitlinie kann die Applikation von Metoprolol bei STE-ACS in Erwägung gezogen werden, wenn keine Zeichen der akuten Herzinsuffizienz vorliegen und der systolische Blutdruck >120mmHg beträgt.

Triage und Transport

Bei STE-ACS stellt sich die Frage, ob eine primäre percutane Koronarintervention (pPCI) innerhalb von 120min möglich ist. Das Ziel soll dann die Drahtpassage über die Stenose innerhalb von 90min sein. Falls eine pPCI nicht innerhalb von 120min möglich sein sollte, soll innerhalb von 10min der Fibrinolysebolus verabreicht werden.

Auch bei NSTE-ACS stellt sich präklinisch die Frage, ob eine pPCI notfallmässig notwenig ist. Dies ist laut Leitlinie indiziert, wenn zusätzlich zum NSTE-ACS eine Hochrisikokonstellation vorliegt. Anzeichen hierfür sind:

  • Hämodynamische Instabilität / kardiogener Schock (CS)

  • akute, auf die Myokardischämie zurückzuführende, Herzinsuffizienz

  • Wiederkehrender oder anhaltender Brustschmerz, trotz medizinischem Management

  • Lebensbedrohende Herzrhythmusstörungen oder Herz-Kreislaufstillstand nach Auftreten des ACS

  • Mechanische Komplikationen

  • Dynamische EKG-Veränderungen

Abschließende Bemerkungen

Das klassische Dogma STEMI und NSTEMI wird immer mehr herausgefordert. Wenngleich die ESC-Leitlinie nicht von dieser Einteilung per se abweicht, erhält man beim Lesen immer wieder Hinweise, dass auch in anderen Situationen als dem klassischen STEMI eine akute PCI notwendig sein kann. Diesem Fakt tragen neuere Versuche eine sinnvollere Einteilung zu wählen Rechnung: Hier wird oft vom sog. okklusiven Myokardinfarkt (OMI) oder vom nicht-okklusiven Myokardinfarkt (NOMI) gesprochen.

Disklaimer: Die hier veröffentlichten Informationen dienen der Aus- und Fortbildung von professionellem Personal und ersetzen keine medizinische Beratung. Es handelt sich außerdem nicht um Therapieempfehlungen des Autors. Medizinisches Fachpersonal muss eigenständig die notwenige Literatur und klinische Situation prüfen. Der Autor kann hierfür keinerlei Verantwortung übernehmen.