Warum ich Medizin studiere?
Lernt man neue Leute kennen, kommt man schnell zu der Frage was man beruflich macht. Erzähle ich, dass ich Medizin studiere kommt immer wieder Frage nach dem warum auf. Offen gestanden: DAS frage ich mich mittlerweile auch! WARUM TUT MAN SICH DAS AN?! Wie Ihr euch vorstellen könnt ist die Frage gleichermaßen individuell, wie sie nicht einfach zu beantworten ist.
Klar als Ärzt:in ist man ein wichtiges Mitglied der Gesellschaft und hilft anderen Menschen, aber das ist der Schlosser, der mir die Tür heute geöffnet und das Schloss gewechselt, auch. (Wahre Geschichte, mein Schlüssel ist im Schloss abgebrochen, an der Stelle auch noch Mal vielen vielen Dank für das schnelle Eingreifen :) ) Wird man Glücklich mit einem Beruf den man aus der Überzeugung heraus macht anderen zu “nutzen”? Selbstverständlich ist das auch für mich ein wichtiger Faktor, warum ich Notfallsanitäter geworden bin und Medizin studiere, aber ist entscheidend für die Berufswahl? Jedenfalls nicht allein. Wahrscheinlich ist es für mich auch ein andauernder Selbstfindungsprozess und ich möchte mit Euch mein Zwischenergebnis teilen:
Folgendes halte ich mir jeden Tag vor Augen: In der Medizin werden wir jeden Tag in Bereiche gelassen, betreten intime Zonen und Grenzbereiche, die den meisten Menschen allenfalls im familiären Umfeld offenbart werden (wenn überhaupt). Unsere Patient:innen sind uns ausgeliefert, vertrauen uns. Wir sehen sie nackt, einige von ihnen an ihren hellsten Tagen und andere an ihren dunkelsten, wir erfahren teilweise mehr über ihr Privatleben, als manche Freunde oder Familienmitglieder. Für mich ist das jeden Tag wieder beeindruckend und stellt für mich zeitgleich eine Ehre dar und ist schwer zu verarbeiten. Aber diese Umstände sind es, die ich sehr schätze und in meinem Alltag nicht missen will.
Für mich bedeutet Medizin immer zu lernen. Es ist nicht nur eine Ausbildung oder sechs Jahre Studium gefolgt von einer Facharztausbildung, die man absolviert, medizinisches Wissen ändert sich teilweise rasend schnell. Patient:innen, die vor ein oder zwei Jahren noch schlechte Prognosen mit durchschnittlichen Überlebenszeiten von sechs Monaten hatten, haben nun durch Entwicklungen von neuen Antikörpertherapien Überlebenszeiten, die man noch nicht absehen kann! Als ich Rettungssanitäter wurde, hielt man den traumatischen Herz-Kreislauf-Stillstand für aussichtslos. Zwei Jahre später habe ich gelernt, dass dies mit Nichten so ist. Es gibt unfassbar viele Möglichkeiten sich zu spezialisieren und fortzubilden, viele von diesen sind (noch!) leider nur Ärzt:innen vorbehalten oder können nur durch diese Berufsgruppe genutzt werden.
Wir arbeiten täglich im Team. Ob wir die Menschen mit denen wir zusammenarbeiten mögen oder nicht, wir haben in der Regel ein gemeinsames Ziel an dem jede:r mit ihrer/seiner Expertise teil hat. Allerdings habe ich über den Werdegang Rettungssanitäter, Rettungsassistent und Notfallsanitäter für mich fest gestellt, dass ich immer wieder in Situationen war, in denen ich gerne mehr Verantwortung hätte tragen wollen. Diese Situationen kamen und kommen immer noch regelmäßig vor und obwohl es mich ein bisschen gruselt vor dem Tag an dem ich diese Verantwortung tragen muss, freue ich mich drauf und sehe es als Möglichkeit mich wieder weiter zu entwickeln.
Viele Dinge, die ich auf der Arbeit täglich tue, sind formal nach wie vor nur Ärzt:innen vorbehalten. Ich gehöre nicht zu den Notfallsanitätern die sich “ständig mit einem Bein im Knast” sehen, kann den Punkt aber nachvollziehen. Wir arbeiten häufig in rechtlich schwierigen und teilweise unklaren Situationen. Auch wenn man jüngst versucht hat diese Grauzonen zu erhellen, sehe ich in meiner täglichen Praxis immer noch regelmäßig unüberwindbare Probleme (bspw. haben wir und dürfen auch gar keine BTM wie Morphin verabreichen).
Unterm Strich würde ich also sagen, dass es mir persönlich im Moment an Perspektiven mangelt. Mit dem Medizinstudium erlangt man eine Qualifikationen in der man sich für verschiedene (oder mehrere?) Fächer entscheiden kann, Subspezialisierungen einschlagen kann und zeitgleich in der Medizin bleiben kann.